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Deine kalten HändeOverlay E-Book Reader

Deine kalten Hände

Roman | Han Kang


2019 Aufbau Digital; Moonji Publishing
Auflage: 1. Auflage
320 Seiten
ISBN: 978-3-8412-1688-5

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€ 9,99

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Kurztext / Annotation

Ein großer Roman über die Einsamkeit der menschlichen Existenz.

Eines Tages verschwindet der Bildhauer Jang Unhyong beinahe spurlos. Er hinterlässt seine faszinierenden Gipsabdrücke von Händen und Körpern - und ein bewegendes Tagebuch, das seine lebenslange Suche nach Nähe und Wahrhaftigkeit in einer Welt voller Masken schildert.

»Han Kang erzählt zugleich mit großer Brutalität und großer Poesie - eine Mischung, die nur wenigen Schriftstellern gelingt.« Stern.»Man kann sich dieser Stimme nicht entziehen.« Independent.

Von der Autorin des internationalen Bestsellers »Die Vegetarierin«.



Han Kang ist die wichtigste literarische Stimme Koreas. 1993 debütierte sie als Dichterin, seitdem erschienen zahlreiche Romane. Seit sie für »Die Vegetarierin« gemeinsam mit ihrer Übersetzerin 2016 den Man Booker International Prize erhielt, haben ihre Bücher auch international großen Erfolg. Zuletzt erschien von ihr bei Aufbau der Roman »Menschenwerk«, der mit dem renommierten italienischen Malaparte-Preis ausgezeichnet wurde. Derzeit lehrt sie kreatives Schreiben am Kulturinstitut Seoul. Die Übersetzerin Kyong-Hae Flügel, geboren 1972 in Seoul, studierte Germanistik in Seoul und Jena. Sie lebt seit 1996 in Jena.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Prolog
1

Bevor ich ihn persönlich kennenlernte, hatte ich seine Werke schon dreimal zufällig gesehen. Wenn man bedenkt, dass er kein bekannter Bildhauer war und ich mich nicht besonders für Bildhauerei interessierte, kann man das durchaus als außergewöhnlich bezeichnen.

Das erste Mal begegnete ich seinen Arbeiten vor fünf Jahren in der Stadt Gwangju, an einem Tag im Frühsommer. Damals besuchte ich meine Tante, die ältere Schwester meiner Mutter, die wegen einer halbseitigen Lähmung im Krankenhaus lag. Während wir uns unterhielten, sah ich die ganze Zeit nur das linke Auge an, die linke Seite der Lippen und die linke Wange, die unverändert schienen. Ich wollte gerade gehen, da fing sie an zu weinen. Auch aus dem halb geschlossenen rechten Auge flossen Tränen über die verzerrten Lippen. Sie hat sie wahrscheinlich nicht gespürt. Meine Cousine begleitete mich zum Aufzug.

»Ich danke dir, dass du den langen Weg hierher auf dich genommen hast.«

»Keine Ursache. Wir sind doch eine Familie.« Ich lächelte matt.

»Dieses Jahr ist wirklich wie verhext. Auch die kleine Tante ist so überraschend von uns gegangen.«

Sie sprach von meiner Mutter.

Wir fassten uns bei den Händen und standen uns eine Weile wortlos gegenüber. Als sich die Türen des Aufzugs mit einem Läuten öffneten, ließ meine Cousine mich los und trat einen Schritt zurück.

»Komm gut nach Hause.«

»Iss ordentlich. Gerade jetzt musst du gesund bleiben.«

»Keine Sorge. Ich bin topfit.« Sie beugte ihren Arm und tat so, als würde sie ihren Bizeps spielen lassen. Ein gezwungenes Lächeln huschte über ihr rundliches Gesicht.

Im Aufzug schob ich mich zwischen einige Besucher und einen Mann im Rollstuhl, dessen Infusionsflasche von einer Frau gehalten wurde. Noch bevor sich die Türen zwischen uns ganz geschlossen hatten, drehte sich meine Cousine um und ging in Richtung Krankenzimmer, anstatt die wenigen Sekunden des Abschieds auszuharren. In dem kurzen Augenblick, in dem sie ihren Kopf zur Seite wandte, sah ich ihren abwesenden Blick. Über ihren Augen lag ein wehmütiger Schatten, den sie mir gegenüber nicht gezeigt hatte.

Eigentlich hätte ich ein Taxi zum Busbahnhof nehmen müssen, stattdessen setzte ich mich auf eine Bank in der Eingangshalle des Krankenhauses, von wo aus der Taxistand zu sehen war, und beobachtete die Sonnenstrahlen. Die Nachricht von der Einlieferung meiner Tante hatte mich nachts erreicht, als ich gerade am Schreibtisch saß. Ich war dann am frühen Morgen sofort mit dem Expressbus losgefahren, und meine Müdigkeit jetzt überraschte mich nicht.

Ich war wohl mit offenen Augen eingeschlafen. Als ich zu mir kam, fiel mir ein Plakat auf, das an einer der Säulen der Eingangshalle klebte. »Ausstellung neuer Kunst aus Gwangju«, stand dort. In der Mitte war ein längliches Ei abgebildet, eine nicht sonderlich ansprechende Marmorskulptur. Darunter waren in chinesischen Schriftzeichen die Namen der acht teilnehmenden Künstler abgedruckt. Der etwas unzeitgemäße Eindruck, der von der einfachen Aufmachung des Plakats herrührte, wurde noch dadurch verstärkt, dass neben den unten aufgeführten Sponsoren auch der Name des Krankenhauses stand.

Ich musste bis neunzehn Uhr bei einer Monatszeitschrift einen Text abgeben. Die Abgabefrist war schon drei Tage zuvor abgelaufen und auf meinem Anrufbeantworter hatte der zuständige Redakteur mehrmals, erst drängend, dann flehend, schließlich vorwurfsvoll, die Nachricht hinterlassen, dass man nur noch auf meinen Artikel wartete - was absolut unglaubwürdig war. Ob ich den Text noch am selben Abend oder am nächsten Morgen abschicken würde, machte auch keinen großen Unterschied mehr.

Ich fuhr mir mit der Zunge über die trockenen Lippen und blickte auf die vor mir liegende Stadt Gwangju, in der ich mich nun so unerwartet aufhielt. War ich übermüdet, erschienen mir die Umrisse der Dinge häufig seltsam verschoben. Mei